Im Aufwachraum: Nach der Pandemie
Das Jahr 2022 startete mit einem weiteren Tanzverbot, erst Anfang März wurde es mit anderen Pandemie-bedingten Einschränkungen aufgehoben. Aber die Lust auf Parties und Konzerte hielt sich in Grenzen, was nicht nur mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu tun hatte, sondern auch mit der Inflation und soziokulturellen Veränderungen. Wir suchten derweil unser altes Ich, das irgendwo im Shutdown verloren gegangen war, und fanden stattdessen: eine Möglichkeit, outdoor zu feiern, eine neue Liebe zum Jazz und ein Konzept, mit dem wir das moondoo nachhaltiger machen konnten.
„Nach zwei Jahren Pandemie erwacht der Hamburger Kiez am Wochenende zum ersten Mal aus dem Winterschlaf“, schrieb das Magazin Stern am 4. März 2022, „Kurz vor Weihnachten hatte der Hamburger Senat (…) ein Tanzverbot verhängt und die Hamburger Diskotheken erneut in den Shutdown geschickt.“ Mit der Wiedereröffnung fragten wir uns, ob die Corona-Zeit nun vorbei wäre - oder ob nicht nach Omikron schon bald die nächste und wieder gefährlichere Variante vor der Tür stehen würde. Tatsächlich begleitete uns die Sorge bis weit in den Herbst dieses Jahres - erwies sich aber schlussendlich (und zum Glück) als unbegründet. Alles gut, also?
Schatten über dem Re-Opening
Leider nicht. Zwei Wochen vor dem Re-Opening hatte Russland die Ukraine überfallen, Panzer rückten auf Kiew vor. Wir waren schockiert von den Nachrichten und fühlten uns nicht in der Stimmung, die es gebraucht hätte, um nach fast zwei Jahren Shutdown den Club wiederzueröffnen. Statt das Kriegsthema auszuklammern, starteten wir nachts vor Ort eine Spendenaktion zugunsten des Aktionsbündnisses „Deutschland hilft“, die rund 5.500€ einbrachte. „Was für eine wunderbare, hilfreiche Idee“, schrieb die Initiative. Sicher. Aber die Idee des Clubs als heile Welt, in der man die harte Realität für ein paar Stunden ausblenden konnte, hatte zugleich spürbar Risse bekommen.
Gen Z trifft sich lieber privat
Auch abgesehen von den Kriegssorgen fühlte es sich schwer an, „zurück zur Normalität“ zu finden. Gäste:innen, die vor der Pandemie zu uns gekommen waren, schienen mittlerweile in einer anderen Lebensphase zu sein und tauchten seltener auf. Und Gen Z, speziell die Jahrgänge 2002-2004, kam nur zögerlich. Sie war besonders stark von Shutdowns geprägt. Statt Cluberfahrungen zu sammeln, traf sie sich online, zu zweit oder in kleinen Gruppen. Nach dem Auslaufen der Corona-Maßnahmen erweiterten sich die Netzwerke zwar wieder. Aber getroffen wurde sich nach wie vor bevorzugt privat oder halb-öffentlich, am liebsten draußen in den lokalen Parks.
Inflation dämpft Cluberfahrung
Wer doch am Wochenende zum ersten Mal den Weg ins moondoo fand, um zu DJ- oder Live-Sets von Acts wie Janatic, DJ Katch oder Bria durch die Nacht zu tanzen, musste beim Blick in unsere Getränkekarte lernen, dass ein Bier im Club mehr kostete als im Corner Store - und das, obwohl die Inflation doch gerade eh alles schon teurer gemacht hatte... Wir hatten Verständnis, aufgrund eigener gestiegener Kosten aber kaum Spielraum, um auf Preisanpassungen zu verzichten.
Kiez wird zum Ballermann
Und noch ein ernstes Problem war aufgetaucht: Die Reeperbahn und der Kiez, lange Zeit durch die bunte Mixtur aus Hamburger:innen und Tourist:innen ein diverser, lebendiger und auch kultureller Ort, war in der Pandemie zum Anziehungspunkt für saufaffines Volk aus der ganzen Republik geworden. Klar: El Arenal, Lloret de Mar und Co. waren durch Reiseeinschränkungen unerreichbar, aber hier, auf der Meile, konnte man sich auch mitten im Shutdown an rund 70 Kiosken zudröhnen. Das hatte langfristige Folgen. Als Kulturorte wieder öffnen durften und endlich auch das lokale Club-Publikum zögerlich zurückkehrte, fühlte es sich wie am Ballermann, drehte in manchen Fällen gleich wieder um und kam auch erstmal nicht wieder.
Neue Impulse aus der Nische
An Wochentagen, wenn die Tourist:innen wieder abgereist waren, schien die Reeperbahn auch für die lokale Szene ihren Schrecken verloren zu haben. Wir merkten es an den Abenden unserer „High Jazz“-Serie, die wir gemeinsam mit Producer High John ins Leben gerufen hatten, und die oft an Mittwochen stattfand: Wenn Künstler:innen wie der Kölner Beatmaker Hulk Hodn, die progressive Londoner Rapperin/Aktivistin Isatta Sheriff oder der Berliner Electronica-Producer S.Fidelity performten, wenn Künstler Jonas Grewe seine narrative Live-Malerei an die Clubwände projizierte, kam eine bunte und kosmopolitische Crowd zusammen, um zu Boom Bap-, Jazz Sounds oder elektronischen Beats zu tanzen, zu chillen oder einfach nur zu hören.
Zurück in Planten un Blomen
Manche dieser „High Jazz“-Sessions fanden im Sommer auch im Cafe Schöne Aussichten in Planten un Blomen statt, darunter die Abende mit der Londoner Künstlerin Zilo, den Beatmaker-Legenden Suff Daddy und Twit One und dem legendären Kölner Underground-Rapper Retrogott. Und auch ein neues House-Projekt wurde dort geboren: La Festa Dell’Amore. Zum Kick-off flog der italienische Producer Spiller ein, dessen Clubhit „Groove Jet“ zu den bekanntesten Dance-Songs aller Zeiten gehören dürfte und der 20 Jahre nach seiner Release vom einflussreichen Defected Label wiederveröffentlicht wurde. Auch Boris Dlugosch, der den Track seinerzeit entdeckt hatte, legte auf. Unbeschwerte Stunden im HierundJetzt.
Nachhaltigkeit: Wir feiern die Zukunft
Während das Jahr voranschritt, beschäftigten wir uns mit Hochdruck mit der Frage, wie wir das moondoo nachhaltiger machen konnten. Ausgangspunkt war die Initiative des Clubkombinats (des Verbands der Musikclubs in Hamburg) gewesen, die das in Berlin für Clubs entwickelte Nachhaltigkeitskonzept ZUKUNFT FEIERN im Frühjahr 2022 nach Hamburg importiert hatte. Als einer der ersten Unterzeichnenden des freiwilligen „Code of Conducts“ waren wir verpflichtet, in acht Handlungsfeldern, darunter Strom, Ressourcen und Mobilität, an Verbesserungen zu arbeiten. Zu den ersten sichtbaren Erfolgen gehörte der Wechsel zum Ökostrom-Anbieter Naturstrom. Außerdem beschlossen wir, an einer Energieberatung teilzunehmen, um Einsparpotentiale zu entdecken. Im nächsten Jahr würden alle Geräte unter die Lupe kommen.
Dass auch Clubs im Kampf gegen den Klimawandel Verantwortung übernehmen müssen, war für uns schon länger klar gewesen. Mit dem Berliner Konzept hatten wir nun nicht nur endlich einen klaren Handlungsrahmen für ein grüneres moondoo - sondern zugleich auch ein bisschen mehr Verständnis darüber, was wir nach fast zweijähriger Pause neben der Musik noch vermitteln wollten.









