2021

Komapatient Clubkultur: Zustand kritisch

2021: Die Pandemie wütete weiter und wir fühlten uns mittlerweile wie im Koma. Staatliche Hilfen bewahrten das moondoo vor dem Tod durch Insolvenz, aber vom (Nacht)Leben waren wir weit entfernt. Öffnungszenarien wirkten wie eine Utopie. Erst im Herbst - 18 Monate nach unserer Schließung - durfte der Club unter strengen Auflagen wieder seine Türen öffnen: für Parties und Konzerte, für Wiedersehensfreude, Umarmungen und ein kurzes Aufatmen. Bis vier Wochen später der nächste Shutdown kam. Unser Rückblick aufs zweite Corona-Jahr.

Afrob (r.), DJ Vito, moondoo 2021 © Valentin Ammon

Karl Hector & The Malcouns, moondoo 2021

Wilsn, moondoo 2021

Afrob (l.), DJ Vito, moondoo 2021

Freelens-Plakatkampagne "Wir geben Hamburg Perspektive" mit moondoo-Motiv an der Mönckebergstraße © Melanie Dreysse

Aronthecook (l.), Offline.atq von den hoodkindern beim Open Club Day im Unterm Strich, moondoo 2021

Chris Haertel, moondoo 2021

Melissa Audrey, moondoo 2021 © Valentin Ammon

David Nesselhauf (rechts), Graeme Currie, moondoo 2021

Llucid (r.), DJ Vito, moondoo 2021 © Valentin Ammon

Am schlimmsten ware die langen zähen Monate voller Perspektivlosigkeit: Mit jeder neuen Eindämmungsverordnung manifestierte sich der Status der Clubs als Orten maximaler Gefährdung, die unbedingt geschlossen bleiben mussten. Ob sie, ob wir, jemals wieder öffnen würden? Wir hatten ernsthafte Zweifel.

Was tun mit der Kulturförderung?

Daran änderten zunächst auch die neu geschaffenen Kulturförderungsinstrumente nichts. Zwar hatten wir uns schon 2020 erfolgreich für das Programm „Neustart Kultur“ beworben, mit dessen Hilfe wir theoretisch Auftritte hätten finanzieren können. Aber wofür sollten wir die Gelder ausgeben, wenn der Club geschlossen war?

Virtuelle Clubführung

Zunächst mal für Online-Projekte. Im Februar nahmen wir am Open Club Day teil, den der europäische Dachverband der Live-Musikclubs initiierte, und der neben einer virtuellen Clubführung auch Auftritte streamen sollte. Wir beschlossen dieses Programm gemeinsam mit dem Clubkinder e.V., mit dem wir 2015 das Unterm Strich-Projekt ins Leben gerufen hatten, umzusetzen. Live-Acts würden die „hoodkinder“ kuratieren - eins der progressivsten Underground-Hip Hop/Rap-Kollektive, das vor der Pandemie regelmäßig im Unterm Strich veranstaltet hatte - und das 2021 den Hamburg Music Award „Krach & Getöse“ gewinnen sollte.

Tröstendes Wir-Gefühl im Stream

Ein grauer Vormittag im Februar auf dem Spielbudenplatz: Gemeinsam mit allen, die am Dreh teilnehmen sollten, standen wir vor einem zugigen weißen Testzelt, um uns per PCR-Test unsere Gesundheit bestätigen zu lassen - eine Voraussetzung, um dabei sein zu dürfen. Nachdem am nächsten Tag die (negativen) Ergebnisse vorlagen, trafen wir uns auf dem menschenleeren Kiez, um im kalten, aber warm leuchtenden moondoo die Aufnahmen zu starten. Underground-Geheimtipp Tammy, Newcomerin Lyssa V und das ClipCartel performten. Umarmungen waren verboten, aber es tat unbeschreiblich gut, alle auf der Bühne zu sehen. Im Stream mit rund 100 Zuschauenden dann jede Menge Interaktion, viele rote Herzchen, ein tröstendes Wir-Gefühl. 

„Herzensort“ moondoo

In Phasen, in denen kein Stream lief, hatten wir oft das Gefühl, aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden zu sein. Umso mehr freute uns die Initiative der Hamburger Fotografenvereinigung Freelens: Mitglieder fotografierten ihre persönlichen „Herzensorte“ und stellten sie für eine große Outdoor-Werbekampagne zur Verfügung. Unsere Freundin Melanie Dreysse, die sonst für nahmhafte Magazine arbeitete, inszenierte sich mit Langzeitbelichtung als Tänzerin(nen) mitten im moondoo - später hing das Motiv an Litfasssäulen und Plakatflächen in der ganzen Stadt.

Reeperbahn Festival: Punktlandung

Nachdem wir in 2020 nicht am Reeperbahn Festival teilnehmen durften, weil der Abstand zwischen Menschen in der Warteschlange und Vorbeilaufenden nicht groß genug war, konnten wir in diesem Jahr wieder mitmachen. Zum ersten Mal nach 18 Monaten durften knapp 100 Gäste:innen wieder das moondoo betreten und Live-Gigs von Acts wie Die P erleben - von bunten, auf den Boden geklebten Punkten aus, die den Mindestabstand sicherten.

Tanzverbot kippt: Und jetzt?

Wenig später und völlig überraschend kippte das Indoor-Tanzverbot. Unter strengen Auflagen durften wir wieder öffnen. Hektische Fragen: Gab es überhaupt (genug) Personal? Welche Künstler:innen waren verfügbar? Gab es genug Teststationen (die Gäst:innen mussten entweder negativ getestet oder genesen sein). War die Haustechnik einsatzbereit? Waren wir selber einsatzbereit?

Warten auf das Schnelltest-Ergebnis

Am 13.11. öffneten wir zunächst das Unterm Strich - die hoodkinder übernahmen - eine Woche später folgte das moondoo. Weil es deutlich zu wenig öffentliche Teststationen gab, kauften wir selbst eine Ladung Antigentests und schickten einige Mitarbeiter:innen zu einem Schnellkurs, der dazu qualifizierte, Vor-Ort-Tests zu überwachen. Der Eingangsbereich erinnerte an das Wartezimmer einer Praxis. Aber dahinter schimmerten schon die Lichter…

DJ Favorites und neue Impulse

Mit dem Geld aus der Kulturförderung kuratierten wir ein Programm, das einerseits an die Acts der Pre-Pandemie anknüpfte - so performten unter anderen DMC DJ World Champion Rafik, Ching Zeng-Label Honcho Crack-T und DJ/Producer DJ Katch - aber auch viele neue, zum Teil sehr unerwartete Impulse gab. Joyce Muniz performte ein exzellentes House-Set (mit lokalem Support von Tiefton). DJ Vito gestaltete einen lebendigen Abend mit Newcomer:innen aus Rap und RnB und Special Guest Afrob.

Klasse statt Masse: Unsere Konzerte

Speziell an Wochentagen präsentierten wir Live-Abende in Kooperation mit dem erfolgreichen Beats-Producer High John („High Jazz“) und Gästen wie dem deutschen Lo Fi-Pionier digitalluc. Aber auch Bands des international gefeierten experimentellen Berliner Krautrock/Psychedelica-Labels Kryptox spielten, darunter David Nesselhauf, CV Vision und Karl Hector & The Malcouns. Damit trafen wir sicherlich nicht den Nerv der Masse - die es im wortwörtlichen Sinne scheinbar auch gar nicht mehr gab - aber lernten dafür Menschen kennen, die vorher zum Teil noch nie im moondoo gewesen waren und nun, umhüllt von atmosphärischen analogen Sounds, durch die Winternacht tanzten. Self Care - auch für uns.

Omikron kommt. Die Party geht.

Nach unserem letzten Abend, am 19.12., wurde der nächste Shutdown angekündigt. Die Omikron-Variante war gelandet. Clubs mussten noch vor Weihnachten schließen.