Von 100 auf 0: der Corona-Schock
2020 wurde ein Jahr voller schlafloser Nächte. Aber das lag nicht daran, dass die Parties so gut waren. Deutschland allgemein und die Clubs im Speziellen wurden von der Corona-Pandemie lahmgelegt. Unsicherheiten, Ängste und Gefühle des Kontrollverlustes machten sich breit. Dem Clubkombinat, der Clubstiftung, der Hamburger Kulturbehörde und treuen moondoo-Fans ist es zu verdanken, dass wir dieses Jahr überlebten - und am Schluss sogar in unserem Exil Cafe Schöne Aussichten einige unvergessliche Konzerte präsentieren konnten.
Als die Medien Anfang 2020 das neuartige Corona-Virus thematisierten, wirkte es noch weit weg. Die Nachrichten aus China erinnerten an andere Epidemien in ferneren Regionen, die zwar gefährlich, aber für Europa „nur" eine abstrakte Bedrohung zu sein schienen. Während die Einschläge näher kamen - am 27./28. Januar wurde die erste Infektion in Deutschland nachgewiesen - lief das (Nacht)Leben weiter. Wird schon nicht so schlimm werden, hofften viele. Auch wir.
Die Angst geht um
Aber es wurde schlimm. Am 31.1. erklärte die WHO die internationale Notlage und in den kommenden Wochen überschlugen sich die Ereignisse. Während man in Deutschland noch vor Panik warnte, verbreiteten sich die Bilder von überfüllten Krankenhäusern - und Särgen - in Italien. Das Land reagierte mit Schließungen von Schulen, Unis und Stadien. Und nun wurde es auch in Deutschland ungemütlich. Todesfälle. Sorgenvolle Mienen. Die Angst ging um.
Endzeitstimmung
Im moondoo waren die Nächte damals gut besucht, aber zwischen jedem Wochenende lagen lange Tage voller neuer Schreckensmeldungen, die Menschen in zwei Lager trennten: Auf der einen Seite standen die Schockierten (zu denen wir auch gehörten), die nun zuhause blieben (zu denen wir aus beruflichen Gründen nicht gehörten). Auf der anderen Seite standen jene, die das Virus für ungefährlich hielten und auf dem Kiez in aufgedrehter Endzeitstimmung durch die Nacht liefen. Eine geisterhafte Atmosphäre entstand.
Unser letzter Abend
Am Freitag, 13.3., hatten wir DJ Plazebo (Tour-DJ Das Bo) und Flo Motion gebucht. Sonst waren die Abende mit diesen Jungs von unbeschwerten Vibes geprägt, aber dieses Mal war uns allen die Nervosität anzumerken: Umarmungen fielen aus. In der Booth gingen wir auf Distanz. Nach Party war uns nicht zumute. Von der Livekomm, dem Bundesverband der Musikclubs, gab es Ausdrucke, die wir am Eingang aufgehängt hatten: Wer Symptome hat, sollte zuhause bleiben. Ein alter Freund, der für eine große Tageszeitung arbeitete, kam vorbei, er sollte die angespannte Atmosphäre auf der Reeperbahn und in den Clubs fotografieren. Er sah unsere gestressten Augen und spürte intuitiv, was wir sagen wollten: hier gibt es nichts zu sehen - bzw. nichts, was wir in der Zeitung sehen wollten. Also keine Fotos. Danke.
Clubs schließen
Am Nachmittag des 14.3. beschlossen wir (mit anderen Musikclubs), freiwillig sofort dicht zu machen, obwohl das Gesundheitsamt noch keine Schließung angeordnet hatte. Weiter geöffnet zu sein, fühlte sich unterverantwortlich an. Auf Insta kommentierten die Menschen mit viel Verständnis. Am Sonntagnachmittag, beim Spaziergang durch den Nieselregen, kam dann die Nachricht: Alle Clubs müssen schließen. Die Party war vorbei. Aber für wie lange? Kein Plan. Am Ende sollten wir 18 Monate am Stück geschlossen bleiben müssen.
Im Krisenmodus
Während sich die Gesellschaft im Krisenmodus befand, sahen wir uns mit anderen Clubs in einer speziellen Situation, die man als aussichtslos beschreiben könnte. Als Orte, wo viele Menschen zusammenkamen, galten wir als gefährlichste Spots, die mit Sicherheit erst ganz am Schluss wieder öffnen dürften. Wann das sein würde, wusste niemand. Psycholog:innen beschreiben solche Situationen, in denen einem alles sicher Geglaubte entgleitet, als Kontrollverlust, der direkt in die Depression führen kann. In den folgenden Wochen, Monaten und Jahren würden wir Wege finden müssen, damit zurechtzukommen. Irgendwie.
Nicht ganz allein
Hilfe kam vor allem vom Clubkombinat, dem Verband der Musikclubs in Hamburg, aber auch von der Clubstiftung Hamburg, die beide regelmäßige digitale Krisenmeetings anboten und so ein Gruppengefühl erzeugten, das uns daran erinnerte, das wir nicht allein waren. Auch auf finanzieller Ebene machten diese Institutionen Druck und starteten ein Crowdfunding, dessen Erlöse den Clubs zugute kommen sollten. Denn: die Kosten liefen weiter.
„Rettet das moondoo"
Weil klar war, dass diese Gelder allein nicht ausreichen würden, um den Club zu retten, starteten wir im Mai unser eigenes Crowdfunding und boten Merch, Patenschaften für unsere Jugendstilkacheln in Flur und signiertes Vinyl an (Dank an alle Supporter:innen, ihr wart so wichtig!). Am selben Tag, kurz nachdem das Projekt begann, erreichte uns die Nachricht, dass auch wir unter einem„Club-Rettungsschirm“ der Hamburger Kulturbehörde Zuflucht finden würden, durch den zumindest die Sicherung der Fixkosten garantiert war. Nach gefühlt endlosen Wochen der Unsicherheit konnten wir zum ersten Mal vorsichtig etwas aufatmen.
Mischen possible
Weil uns die Musik und das Clubgefühl so fehlten, fingen wir an, aus dem geschlossenen Club DJ-Sets zu streamen (Motto: Mischen possible). Ab Sommer 2020 legten immer wieder Künstler:innen auf, z.B. DJ Vito (Tour-DJ Samy Deluxe) mit Neo Soul-Sängerin Melissa Audrey, Resident Detlef „Dedl“ Mack und DMC World Champion DJ Rafik. (Viel) besser als nichts.
Chaos und Regeln
Während wir streamten, erinnerte die Situation auf dem Kiez an einen ganz normalen Sommer: Menschenmassen drängten sich vor Kiosken, schunkelten vor und in den Kaschemmen der Großen Freiheit. Corona-wer? Pandemie-was? Die Polizei kam und räumte die Straße - bis zum nächsten Samstag. Zwischendurch erreichte uns ein Anruf des Reeperbahn Festivals, das unter strengen Auflagen stattfinden durfte: Leider würde das moondoo in diesem Jahr nicht bespielt werden können, es sei nicht gewährleistet, dass draußen vor dem Club der Abstand zwischen den Wartenden und Vorbeigehenden gewahrt bleibe.
moondoo in the park
Aber es gab auch eine gute Nachricht. Der engagierten Hamburger Kulturbehörde war es zu verdanken, dass ein Förderungsprojekt namens „Outdoor-Initiative“ aufgelegt wurde, für das sich Clubs unter Vorlage von Hygienekonzepten, künstlerischer Schwerpunkten und Kostenplänen bewerben konnten. Die Veranstaltungen durften nicht im eigenen Club stattfinden (der ja eh geschlossen war), sondern draußen oder in anderen Räumen, die gut belüftet waren. Wir bekamen einen Zuschlag für unser Projekt „moondoo in the park“, das von Mitte bis Ende Oktober im Cafe Schöne Aussichten in Planten un Blomen stattfand.
Wohnzimmer-Vibes
Um den weitläufigen Raum, der aufgrund der Abstandsregeln nur von knapp 70 Personen besucht werden durfte, cozy zu gestalten, liehen wir Möbel aus der Hamburger Materialverwaltung, stellten Retro-Stehlampen auf und legten Teppiche auf den Boden. Im Oktober 2020 fanden unter strengsten Regeln (Mindestabstand, feste Sitzplätze, Maskenpflicht, außer beim Trinken, Tanzverbot, Kontaktdatenerfassung, Sperrstunde etc.), sechs Abende statt, darunter ein von DJ Vito kuratiertes Programm mit Special Guest Estikay und Sessions mit Rapperin Ace Tee, dem Lo Fi-Projekt Import.Export und Josi Miller, Phunk-Artist Kwam.E (ft. Tom Hengst), der Hip Hop/Jazz-Band Ferge x Fisherman und der Neo-Soul-Sängerin Douniah, mit Producer High John und DJs wie Jada.
Kultur-Lockdown
„moondoo in the park“ war ein Momentum. Aber die Freude sollte nicht lange halten. Der siebte und achte Abend musste von jetzt auf gleich abgesagt werden, denn Ende Oktober verschärfte sich die Lage - die Inzidenz kletterte unaufhaltsam und die Stadt beschloss den sogenannten „Kultur-Lockdown“. Wieder gingen die Lichter aus. Und die Musik. Und gefühlt alles.